Rückblick
2011
Kahnpartie, Saure Gurken und Leinöl
Im Morgengrauen des 3. September 2011 startete die jährliche Ausfahrt des Fördervereins am Schlossplatz in Löpitz. Es versprach einer der seltenen Tage mit schönem Wetter in diesem Sommer zu werden. Der komfortable Bus mit dem Schild: „Polster und Pohl / Sonderfahrt Spreewald“ war mit 48 Teilnehmern voll besetzt. Und dass wir uns wohlfühlen sollten, stand auch noch drauf. Dafür sorgte der Vereinsvorsitzende und Reiseleiter mit seinen Informationen zu Ziel und Reiseverlauf. Jörg Uhlmann repetierte die geologischen Strukturen der Eiszeit von Grundmoräne bis Urstromtal, verwies auf die Fruchtbarkeit der Böden, die sich hervorragend für den Anbau von Gurken eignen und versprach, uns auf dem Weg dorthin und wieder zurück, mit den Annehmlichkeiten der Bordküche zu verwöhnen.
Nach drei Stunden geselliger Fahrt sahen wir die ersten „Gurkenflieger“ auf den Feldern, erreichten Lübben, den Parkplatz und den ersten Höhepunkt auf dem Weg zur Gaststätte, Gurken-Paule. Wer den Unterschied zwischen einer Spreewaldgurke aus Lübben und einer echten Spreewaldgurke aus Meuschau nicht erkennt, ist kein Gourmet und auf einer einschlägig kulinarisch ambitioni
erten Reise fehlgebucht. Hier aber drängten sich die Vereinsmitglieder mit kleinen Spießchen vor den Probierschalen, wagten sich an größere Stücke heran, gerieten in schwärmerische Begeisterung, sodass schlussendlich auch das eine oder andere Eimerchen erworben wurde. Zwischen auf Massentourismus abgestimmten Souvenirs erweckten liebreizende Plüschstörche in unterschiedlichen Größen das Interesse: Man könnten sie gut in Tragarth verkaufen und vielleicht zielgerichtet als Fetisch verwenden.
Es blieb noch etwas Zeit für Erkundungen im Park, bevor das Strandcafe zum Mittagessen lud. Drei spreewaldtypische Gerichte – Putengeschnetzeltes, Hering, Sülze – bereits aus dem fahrenden Bus geordert, waren rasch serviert und schmeckten vorzüglich. Nach langer Anreise machten frische Luft und Gurkenhäppchen Appetit. So richtete sich die Aufmerksamkeit, auch der Männer, ausschließlich auf Teller und Glas, obwohl das hübscheste Mädchen der Region zum Servieren angestellt worden war. Glauben Sie nicht? … (--> siehe Bilder)
Es folgte eine kurze Freizeit. Einige spielten Minigolf, andere verdauten und erfreuten sich an den vorbeigleitenden Kähnen und Paddelbooten. Eine kleine Gruppe begab sich zum Lübbener Wasserspielplatz. Hier bitte ich Sie energisch, den Computer einzuschalten und gemeinsam mit den ortsansässigen Kindern, Vätern, unserer Ortsbürgermeisterin, Hartmut Kirchhoff u.a. zu erkunden, wie das Wasser in den Spreewald kommt. Es beginnt mit einem kleinen Wasserfall, der sich in unendliche Kanälchen ergießt, die mit Schiebern reguliert werden können. Da drehen sich große und kleine Schaufelräder. Eine Schraube nach Archimedes pumpt das Wasser in ein höher gelegenes Becken. In der schönsten Matschepampe stehen Bagger, die ohne Altersbegrenzung bedient werden können. Drei Flöße warten auf ihre Mannschaften und die große Reise. Was jetzt folgt, gehört wirklich nicht ins Amtsblatt: Wenn H.K. nassen Sand baggert, darf I.B. auch Floß fahren!
Mit Mühe wurden wir wieder erwachsen und stiegen zu den anderen in die Boote. Auf den Tischen standen gut gefüllte Teller mit Schmalzstullen und Gurkenscheibchen.
Die Fährleute stießen ihre Rudel in den Grund. Die beiden 12 Meter langen Alu-Kähne nahmen Fahrt auf. Holzkähne gibt es kaum noch. Sie müssen jährlich trocknen, geteert werden und quellen. Alles braucht seine Zeit, wenn die nicht eingehalten wird, verdirbt die Kiefer vor der angestrebten Funktionsperiode von 12 Jahren. So stirbt der ehrenwerte Beruf des traditionellen Kahnbauers aus, während die Zahl der Fährleute schneller zunimmt als die Touristentonnage. Leider hat man nicht von Venedig gelernt. Die modernen Kähne sind unverwüstlich, ihre Größe wird durch die Schleusen limitiert und Schwimmkammern bewahren sie davor, vollständig zu sinken und im Falle einer Kenterung Fährgäste mit sich im schlammigen Grund zu begraben. Derart beruhigt glitten wir durch eine beschauliche Landschaft, wurden mehrmals geschleust und erreichten den Zwischenstopp, eine Art Kahn-Drive-in, wo Fettbemmen mit Gurken aber auch Gurkenteller über die Bordwand gereicht wurden. Nur der Skipper verließ sein Fahrzeug, um hinter einer Abschirmung ein anderes spreewaldtypisches Fast-Food zu verzehren. Die letzte Schleuse, am Strandcafe stiegen wir wieder aus. Leider. Ich hätte meine Seele gerne noch weiter baumeln lassen, bis Lübbenau im Oberspreewald mit seinen pittoresken Fließen, Kanälen und Dörfern.
Auf dem Plan stand die Holläderwindmühle in Staupitz. Wer reist, soll sich auch bilden. Die Mitglieder des Mühlenvereins führen routiniert Busladungen durch das europäische Kulturerbe. Sie verstehen nicht nur etwas vom Mehlmalen, sondern sägen auch Holz und pressen Öl. Leinöl gehört in den Spreewald wie die Gurke. Hinsichtlich seines Gehalts an ungesättigten Fettsäuren nimmt es eine absolute Spitzenstellung ein und ist allenfalls mit Lebertran vergleichbar, diesem jedoch geschmacklich weit überlegen. Diejenigen, die täglich einen Löffel davon genießen, pur oder als Stippe zu Zucker und Brot, zu Pellkartoffeln mit Quark, auch im Salat, erfreuen sich eines langen Lebens bei kraftvoller Gesundheit und Schönheit. Den Skeptikern derartiger Heilsversprechen gesunder Ernährung sei entgegenzuhalten, dass wir im Rahmen dieser Expedition wenigstens ein außergewöhnlich schönes Mädchen (Serviererin) und einen besonders kräftigen Mann (mit dem Hammer an der Ölpresse) dokumentiert haben. Allerdings steht der Beweis der Langlebigkeit für beide noch aus.
Die Mühle produziert. Bei gegebener störender Bebauung drehen sich ab Windstärke 4 (sonst 2) die Flügel. Die Fortleitung der Kraft über Königswelle, Zahnräder, Transmissionen zu Mahlwerken, Fördereinrichtungen, Sägegatter erscheint dem Betrachter nachvollziehbar. Hier gelingt vielen, was ihnen leidiger weise beim Mikrochip nicht gegeben ist. Und so genossen die Betroffenen die Illusion, nicht unbegabt, sondern lediglich ins falsche Technikzeitalter geboren zu sein. Denen, die mit hohem persönlichen Einsatz diese historische Anschaulichkeit erhalten, sollten wir dankbar sein und in diesem Zusammenhang auf unsere Wallendorfer Mühle verweisen.
Mit Gurken, Leinöl und ich glaube, auch zwei Störchen im Gepäck, traten die Mitglieder des Fördervereins die Rückreise an, unterbrochen von einer Rast, auf der die seit dem Morgen avisierten Würstchen gereicht wurden, mit Senf aus dem Spreewald.
I.B.
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